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Erinnerungsgeschichte

Mindestens ebenso interessant wie die historischen Ereignisse um das KZ Bisingen 1944/45 ist die Nach- und Erinnerungsgeschichte, die unmittelbar nach der Evakuierung des Lagers im April 1945 begann. Noch vor Eintreffen der französischen Truppen wurden Spuren verwischt: Der Bisinger Bürgermeister Maier ließ sämtliche Unterlagen verbrennen, darunter die Sterbemeldungen der KZ-Opfer; auch die SS vernichtete ihre Dokumente.

 

Nachkriegsjahre: KZ-Friedhof

Ende 1946 ordnete die französische Besatzungsmacht die Exhumierung der Massengräber durch Internierte des politischen Haftlagers Reutlingen an. Nach gescheiterten Identifizierungsversuchen wurden die 1158 Leichen von Insassen des Balinger Kriegsverbrecherlagers auf das Gelände des heutigen KZ-Friedhofs umgebettet. Jedes Grab erhielt ein Holzkreuz. Am 29. April 1947 wurde der Friedhof eingeweiht. Er war der erste und lange Zeit einzige Gedenkort für die Opfer des KZ Bisingen.
In den 1950er-und 60er-Jahren gab es eine Diskussion um die Bezeichnung und Beschilderung des Friedhofs. Als der französische Wegweiser „Cimetière d'Honneur" (Ehrenfriedhof) verwitterte, regte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Baden-Württemberg (VVN) 1956 an, ihn durch ein Schild mit der Aufschrift „KZ-Friedhof“ zu ersetzen. Während das Hohenzollerische Landesbauamt Sigmaringen die Bezeichnung „Kriegsgräberstätte" vorschlug, entschied sich das Landratsamt Hechingen 1961 für die Aufschrift „Ehrenfriedhof". Als Grund wurde angegeben, dass „es durchaus angebracht sei, bei der einheimischen Bevölkerung die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wachzuhalten. Es bestehe jedoch keine Veranlassung, auch die Ausländer, die in großer Zahl die als internationale Durchgangsstraße dienende Bundesstraße 27 befahren, indirekt auf die Verbrechen des Nationalsozialismus hinzuweisen."

 

1950er- und 1960er-Jahre: Ölschiefergelände und Heimatbuch

Auch auf dem Gelände des Ölschieferwerks im Kuhloch wurde mehr verschleiert als erinnert. Von 1953 bis 56 pflanzte die Gemeinde rund 170 000 Bäume und Hecken, die schon bald die Spuren von Produktionsanlagen und Zwangsarbeit überwucherten. Auf dem ehemaligen Meilerfeld eröffnete der Fußballverein Bisingen im Juli 1969 einen Fußballplatz mit Sportheim. Als „Erinnerungsstätte“ wurde unweit davon ein Gedenkstein in Form einer gekappten Pyramide aufgestellt. Die kryptische Inschrift lautet: „Wanderer, gehst du hier vorbei, gedenke derer, denen das Leben genommen wurde, bevor sie es sinnvoll gelebt hatten." Dieser Spruch wird auf zwei Seitentafeln in französischer und lateinischer Sprache wiederholt. 

Ein zeittypisches Dokument ist das vom Heimatverein 1953 veröffentlichte „Heimatbuch der Gemeinde Bisingen-Steinhofen“, in dem das Thema Nationalsozialismus völlig ausgeklammert wird. Unter der Großüberschrift „Kriegerische Ereignisse in Bisingen“ wird ein Bogen vom Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg gespannt und einige Betrachtungen zum Zweiten Weltkrieg angehängt. Das Thema KZ Bisingen steht unter der Unterüberschrift „Der Opfergang Bisingens im Kriege“.

 

1980er-Jahre: Aufarbeitung durch die Juso AG

Gegen diese unkritische und inhaltlich falsche Darstellung wandte sich zu Beginn der 1980er-Jahre die Juso AG Bisingen, als sie die Geschichte KZ Bisingen dokumentarisch aufarbeitete. Die Tabuisierung des Themas und die äußerst spärlichen Informationen – es gab ja nur die Inschrift auf dem KZ-Friedhof und die nebulösen Sätze im Heimatbuch – bewogen die Jugendlichen dazu, selbst aktiv zu werden, in Archiven und Zeitzeugengesprächen Informationen zum Lager zu gewinnen. Als Ergebnis ihrer Recherchen veröffentlichten die Jusos 1984 eine Dokumentation, die sie in einer gut besuchten Veranstaltung in der Hohenzollernhalle präsentierten. Von Anfang an stießen die Jugendlichen bei ihrer Arbeit auf Widerstände: der Gemeindeverwaltung, der CDU-Fraktion im Gemeinderat, aber auch vieler Bisinger Bürger, die dazu rieten, „die alten Geschichten ruhen“ zu lassen. Immer wieder wurde die Gruppe als „Nestbeschmutzer“ beschimpft, einzelne Mitglieder erhielten anonyme Anrufe.

 

Seit 1995: Museum, Geschichtslehrpfad und Gedenkstättenverein

Erst mit der Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 wurde die weit verbreitete Abwehr gegen Aufarbeitungsversuche allmählich aufgebrochen. In den folgenden Jahren entstanden an vielen Orten Initiativen, welche die lokalen Verfolgungsgeschichten aufarbeiteten. In Bisingen vollzog sich in diesen Jahren ein gewisser Sinneswandel bei den politischen Organen. 1995 beschloss der Bisinger Gemeinderat, die erste Ausstellung im neuen Heimatmuseum der Geschichte des KZ Bisingen zu widmen. Interessanterweise setzte sich derselbe Bürgermeister, der sich Anfang der 1980er-Jahre vehement gegen die Initiative der Juso AG gewendet hatte, nun für dieses Thema ein. Die von der Stuttgarter Historikerin Christine Glauning konzipierte Ausstellung wurde im November 1996 unter dem Titel „Schwierigkeiten des Erinnerns“ eröffnet. Anwesend waren auch vier Überlebende des KZ Bisingen; zwei davon hielten Ansprachen. Das Museum wurde 1997/98 durch einen Geschichtslehrpfad ergänzt. Bei der Einweihungsfeier auf dem KZ-Friedhof wurde auch ein Gedenkstein für die jüdischen Opfer enthüllt. 

Inzwischen sind Geschichtslehrpfad und Museum fest etabliert. 1998 erklärte der Gemeinderat die Präsentation im Museum zur Dauerausstellung. Mit Leben gefüllt wird die Gedenkstätte vom 2003 gegründeten Verein Gedenkstätten KZ Bisingen e.V., der jedes Jahr rund tausend Besucher zu den historischen Orten führt. Die weitaus meisten davon sind Schülerinnen und Schüler. 

In der neuen Dauerausstellung im Museum KZ Bisingen wird die Erinnerungsgeschichte in einem eigenen Raum dargestellt. Überdies verweisen wir hier gerne auf einen Film des Regisseurs Remigius Bütler für das Schweizer Fernsehen SRF über den einstigen Lagerleiter Johannes Pauli.